Nachbetrachtung

Einst hatte Johne Locke das "Naturrecht auf Selbsterhalt" durch eigene Tätigkeit propa-
giert, und nachdem für Jahrzehnte für die meisten ein Leben jenseits der Knappheit selbst-
verständlich geworden war, spüren heute mehr und mehr Menschen, dass ihnen durch
die globalisierten Produktions- und Aneignungsprozessen die Selbstverfügung abhanden
kommt. Vertrauen, das zentrale Bindemittel für den Zusammenhalt von Gemeinschaften,
erodiert.
Das gilt auch - und gerade - für das, was wir essen. Zwar ist die Ernährung als Anteil am
Haushaltsbudget von 80% in früheren Jahrhunderten auf, einkommensabhängig, 5 bis
25 % zurückgegangen und liegt deutlich hinter den Ausgaben für das Wohnen. Doch was
wir essen, ist uns inzwischen zum Problem geworden und die drohende Endlichkeit der
Ressourcen lässt ahnen, dass das Qualitäts- und Gesundheitsproblem der Nahrungsmittel
eher zunehmen als abnehmen wird und dass hinter den qualitativen Fragen die quantita-
tiven lauern: Kann die wachsende Weltbevölkerung  auf längere Sicht überhaupt noch
ernährt werden?
Sogenannte "Luxusprobleme" durchmischen sich mit Existenzproblemen einer steigenden 
Zahl von Bürgern im Hinblick auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Und so treffen
sich im "Kreislauf der Ernährung" wohl durchaus sehr verschiedene Motivlagen, die jedoch
zentrale Unbehagen teilen: die entfremdete Erzeugung und weiter entfremdende "Vered-
lung" von Nahrungsmitteln, ehe sie auf den Tisch gelangen.
Transparenz durch Nähe ist ein Anliegen, dessentwegen Regionalität ihre preisgegebene
Bedeutung zurückerlangt. Ein zweites reicht noch weiter und führt zum Selbsttun. Gegen-
wärtig geht es noch häufig um "das gute Gefühl". Wem das genügt, der wird sich an der
Ästhetik des Quadratgartens erfreuen und es genießen, nach Tagen vor der Tastatur abends
Erde zwischen den Fingern zu zerbröseln. Dann hat Priorität, was gefällt.
Doch reicht der Anspruch an terra preta - stellvertretend für eine Vielzahl von Entwicklungs-
ansätzen - angesichts der Ernsthaftigkeit, mit der der Aufwand betrieben wird, nicht weiter?
Wenn das zutrifft, sollte auch weitergedacht werden und der Wandel, der etwa mit der
Transition Town-Bewegung einher kommt, als Einstieg in neue Formen des Selbsterhalts auf
einer stabilen Subsistenzgrundlage angegangen werden.
Also - wenn das so ist, können Kräuter und Tomaten lediglich ein erster Schritt sein. Im
Weiteren sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, dass unsere physische Existenz der
Proteine, Fette und Kohlehydrate bedarf. Züchtung und Anbau sollten erprobt werden für einen
Saatkorb, in dem Pflanzen enthalten sind, die miteinander verträglich angebaut werden und
unaufwändig weiter verarbeitet werden können, zur Deckung all der Grundbedarfe.
Anders gesagt: Wenn wir es ernst meinen, kann das gute Gefühl, Gutes getan zu haben, allein
nicht genügen. Vielmehr sollte der größere Nutzen des Selbsterhalts für alle durch Selbstver-
fügung ins Zentrum rücken. Anders wird ein gesellschaftlicher Wandel, der mehr bietet als
Nischenexistenz oder Modifizierung des Vorhandenen und erst dann wirklich neue Existenzformen
ermöglicht, nicht zu erreichen sein.
 
                                                                                                         Reinhard Stransfeld