Nachbetrachtung

Das Leben an der Küste war nie einfach gewesen, der Fischfang auf der tückischen Nordsee
oft genug gefährlich. Dennoch wurde dem Meer immer wieder fruchtbares Marschland
abgerungen, und so liegt auch Reußenköge, mit 338 Einwohner die kleinste amtsfreie
Gemeinde Deutschlands auf ca. 4000 ha Marschland, einen Meter über Null und geschützt
durch acht Meter hohe Deiche – oben, in Nordfriesland.

 

Mag der Boden auch fruchtbar sein, angesichts einer industrialisierten Landwirtschaft und
globalisierter Märkte sind selbst Höfe mit über 100 ha in ihrer Existenz gefährdet und die
Menschen verließen das Land nicht zuletzt wegen der ungewissen Perspektiven. Nun ist alles
anders geworden. In bisher fünf Bürgerparks erzeugen über 60 Windräder nicht nur Strom,
sondern auch Einkommen für alle. Denn fast alle Haushalte von Reußenköge haben Anteile.

 

In ihrer Abgelegenheit ist die exponierte Lage plötzlich zu einem Standortvorteil geworden,
es wird das Einhundertvierzigfache dessen an Strom produziert,  was vor Ort verbraucht
werden kann. Und so ist das Stromeinspeisegesetz zur Bonanza windiger, schwach
besiedelter Standorte geworden.

 

So ist man auf der einen Seite autark, auf der anderen Seite jedoch abhängig von den
Gebietern der Netze, in diesem Fall von EON, einem Unternehmen, welches von der um sich
greifenden Dezentralisierung in der Stromerzeugung alles andere als begeistert ist, und dank
der Verfügung über die Netze sein eigenes Spiel betreiben kann.

 

Zudem – mach es wirklich Sinn, Strom aus Nordfriesland nach Bayern zu transportieren? Es wird
oft übersehen, dass Strom gegenwärtig nur mit 20% zur Deckung des Primärenergiebedarfs
beiträgt. Die anderen 80 % werden aus Öl, Gas und Kohle gewonnen, also aus CO2-Sündern,
die zudem großenteils importiert werden müssen und damit Abhängigkeiten von teilweise
fragwürdigen Quellen mit sich bringen.

 

Das führt zur Frage, ob die gewaltigen Stromüberschüsse nicht vor Ort genutzt werden können,
um diese Energieträger zu substituieren. Das kann auf direktem Weg geschehen, indem bisher
ölbasierte Techniken in der Wärmeerzeugung und im  Verkehr auf Stromverbrauch umgestellt
werden, Stichwort "Elektromobilität". Damit bleibt man jedoch  den Problemen schwankender
Erzeugung sowie schwankender Nachfrage ausgesetzt, angesetzt unzureichender Speicher-
möglichkeiten von Strom eine andauernde Herausforderung.

 

Das führt zu einem zweiten Weg der Nutzung. Beim Einsatz des Stroms zur Wasserstofferzeugung  
durch Elektrolyse entsteht Wasserstoff, ein Gas, das als Basis für Anwendungen in den
klassischen Bereichen Wärme und Mobilität geeignet ist, gleichzeitig hervorragend speicherfähig
ist. So kann der Strom in Schleswig-Holstein bleiben, man spart den aufwändigen Netzausbau,
der vor vielen Seiten als kostentreibend beklagt wird. Gleichzeitig verringert es die Abhängigkeit
Schleswig-Holsteins von Primärenergieimporten, das Geld bleibt also im Land.

 

Zusätzlich gilt es, Entwicklungen zu haushaltsgemäßen Techniken der Erzeugung, Wandlung und
Nutzung von Energie zu forcieren, um dem Entstehen neuer, übergroßer Unternehmen
entgegenzuwirken, die stets die Tendenz haben, sich nicht-legitimen Einfluss auf die Geschicke
des Landes und seiner Menschen zu verschaffen. Auf der diesjährigen Herbsttagung des
Regionalen Aufbruch e.V. wurden dafür Beispiele vorgestellt, die in ihrer Perspektive
ermutigend sind.

 

Die dezentrale, ländliche Energieerzeugung dient zudem einem weiteren guten Zweck. Sie
bringt kleineren ländlichen Betrieben in Familienhand ein Zusatzeinkommen. Dadurch ist
es möglich, weiterhin traditionelle Landwirtschaft zu betreiben, die ihre Produkte mittels
Direktvermarktung an die Verbraucher in der Umgebung abgibt und damit ein weiteres
Element von Autarkie und Vertrauen schafft.

 

So stellt sich der Regionale Aufbruch e.V. den regionalen Aufbruch vor.  Dank an
Reußenköge für die positiven Impulse und Nicolaus Petersen, der die Exkursion in den
Norden möglich gemacht hat.